Projektbeschreibung
Bestechung in/von chinesischen Unternehmen ist eine terra incognita der internationalen Korruptionsforschung. Vor dem Hintergrund der großen Welle von Korruptionsverfahren in den chinesischen Unternehmen macht sich dieses Forschungsdefizit derzeit besonders gravierend bemerkbar. Die Hintergründe und Auswirkungen der Reformen zur Korruptionsbekämpfung von Xi Jinping sind auf Unternehmensebene schwer einzuschätzen. Sind sie Teil von politischen Säuberungen oder ein Schritt auf dem Weg zu mehr Rechtsstaatlichkeit in China? Was steckt wirklich hinter den Korruptionsverfahren in China? Das Projekt dient dazu, Theorien und empirische Zugänge zur Beantwortung dieser Fragen insbesondere im Aspekt der aktiven Korruption (z.B. Bestechung zur Auftragsvergabe) zu untersuchen.
Dabei verfolgen wir drei Ziele
(1) Wir wollen mit dem Einbezug von China unser theoretisches Modell „funktionaler Devianz“ auf der Ebene der Organisation weiterentwickeln. Wir wollen herausfinden, wie stark unsere Theorie bei der An-wendung auf einen nicht-westlichen, staatskapitalistisch-sozialistischen Fall dif-ferenziert/modifiziert werden muss und inwieweit sie generalisiert werden kann.
(2) Wir prüfen innovative methodische Zugänge zu einem sehr schwer zu erforschenden Bereich. Wir fragen, welche Datenquellen valide Ergebnisse bringen und welche Kombination von Erhebungsverfahren zielführend ist.
(3) Wir wollen testen, inwieweit diese Daten auf der einen Seite zur wissenschaftlichen Bestimmung der Rechtsentwicklung und -sicherheit in China geeignet sind. Auf der anderen Seite interessiert uns, welche Impulse von einer solchen Forschung für präventive Sensibilisierungs- und Compliance-Trainings für in China operierende Unternehmen ausgehen können.
Das Projekt ist im Rahmen der Aktivitäten einer interdisziplinären Forschergruppe aus Soziologen, Kriminologen, Juristen und Medizinern, ergänzt durch Sinologen, Wirtschafts- und Politikwissenschaftlern angesiedelt (Organisationale Devianz-Studien). Diese Forschergruppe beschäftigt sich seit mehreren Jahren mit „organisationaler Devianz“ und ihrer Prävention in verschiedenen Ländern. Damit ist das Frontier-Projekt eingebettet in eine Reihe von Vorstudien und Studien, die von unserer interdisziplinären Forschergruppe zur organisationalen Devianz bereits durchgeführt wurden bzw. werden. Ein vorangegangenes Frontier-Projekt hat sich mit dem Thema der organisationalen Devianz im Sektorenvergleich von Medizin und Wirtschaft sowie im Kulturvergleich der USA und Deutschland beschäftigt. Es hat zur Bewilligung eines Antrages bei der Volkswagenstiftung geführt und soll nun durch die China-Studie ergänzt werden.
Mit China gewinnt der Forschungsverbund einen scharf zu USA und Deutschland kontrastierenden Fall hinzu. Dadurch kann zum einen der Einfluss von Kultur, politischer und institutioneller Ordnung auf die Form organisationaler Devianz und ihrer Prävention präziser bestimmt werden. Zum anderen ist dieser Fall auch hervorragend geeignet, im interkulturellen Vergleich die empirische Erklärungskraft unseres neuartigen institutionentheoretischen Modells zu validieren und unsere theoretischen Annahmen zu differenzieren. Der Ertrag dieses Vorhabens liegt daher zum einen in der explorativen Prüfung der Erklärungskraft der Analyse von „funktionaler Devianz“ in extrem verschiedenen kulturellen und politischen Kontexten. Zum anderen soll ein Beitrag zur Einschätzung der Rechtsentwicklung und Rechtssicherheit in China geleistet werden, der auch für die zahlreichen privatwirtschaftlichen Akteure aus dem Ausland von Belang ist.
Leitung
Prof. Dr. Markus Pohlmann
Prof. Dr. Gerhard Dannecker
Prof. Dr. Dieter Dölling
Prof. Dr. Dieter Hermann
Prof. Dr. Barbara Mittler
Mitarbeiter
Dipl.-Soz. Yuanyuan Liu
Projektdauer
2016-2017
Projektfinanzierung
Frontier