Sommersemester 2022
In meinem Vortrag werde ich die Ergebnisse verschiedener historischer und sozialer Projekte vorstellen, die in den Jahren 2012-2021 mit Unterstützung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ in der Ukraine durchgeführt wurden. Im Mittelpunkt dieser Projekte standen die Themen der Zwangsarbeit im Nationalsozialismus und die „Vergessenen Opfer“ des Nationalsozialismus – sowjetische Kriegsgefangene und Patient*innen in psychiatrischen Kliniken. In der zweiten Hälfte meines Vortrag werde ich beschreiben, wie das soziale Netzwerk verschiedener Kontakte, das im Rahmen dieser Forschungs- und öffentlichen Projekte geschaffen wurde, dazu beitrug, ehemalige Opfer des Nationalsozialismus während der russischen Aggression gegen die Ukraine zu finden und ihnen Hilfe aus dem „EVZ“ bereitzustellen.
Referentin
Dr. Tetiana Pastushenko ist Mitarbeiterin des Instituts zur Geschichte der Ukraine der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine. Seit mehr als 30 Jahren forscht sie zur Geschichte des Zweiten Weltkrieges, insbesondere zu den Schicksalen sowjetischer Kriegsgefangener und Zwangsarbeiter:innen, Gefangener von Nazi-Konzentrationslagern und Opfern der stalinistischen Repressionen. Sie ist Autorin mehrerer Bücher zu Zwangsarbeit und Zwangsarbeiter:innen im und nach dem Zweiten Weltkrieg. Außerdem hat sie mehrere internationale Projekte begleitet und organisiert, darunter „Zeitzeugen-Dokumentation zur Geschichte der Sklaven- und Zwangsarbeit im nationalsozialistischen Deutschland“, und „Das Niederlassen von Repatriierten in Kiew verboten: zur Nachkriegslage der ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in der sowjetischen Gesellschaft (1945 – 2000)“. Dr. Tetiana Pastushenko promovierte 2007 zum Thema: “Die Ostarbeiter aus der Ukraine: Deportation, Zwangsarbeit, Repatriation.“
Für zahlreiche Bereiche der historischen Forschung zum vormodernen Indien sind die erhaltenen Quellen außerordentlich spärlich. Ganz anders ist die Quellenlage jedoch für die Erforschung des Phänomens "Stiftung". Es liegen Tausende von Inschriften aus der Zeit von 300 v. Chr. bis 1500 n. Chr. (und darüber hinaus) vor, und man darf es als einen glücklichen Umstand ansehen, dass mindestens seit den ersten Jahrhunderten n. Chr. die überwiegende Mehrzahl dieser Inschriften Stiftungsdokumente darstellt. Die relativ gute Überlieferungslage hängt nicht zuletzt mit der Beschaffenheit von Inschriften zusammen, die "für die Ewigkeit" gedacht waren und daher auf beständigen Materialien angebracht wurden. Indische Stiftungszeugnisse sind in Stein eingemeißelt oder in Metall eingraviert und in Prakrit, Sanskrit und Proto-Regionalsprachen verfasst. Die große Zahl dokumentarischer Quellen zum Stiftungswesen darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch sie bei weitem nicht zu allen Aspekten von Stiftungen Auskunft geben. Dies wird vor allem im interkulturellen Vergleich mit anderen Regionen deutlich. In diesem Sinne soll es in dem Vortrag darum gehen, was aus indischen Inschriften über Stiftungen zu erfahren ist und wo auch hier die Grenzen liegen.
Referentin
Prof. Dr. Annette Schmiedchen ist Indologin am Institut für Asien- und Afrikawissenschaften der Humboldt Universität zu Berlin. Hier ist auch das von ihr geleitete Projekt („From Deccan to Arakan“) des ERC Synergy Grant „DHARMA – The Domestication of ‚Hindu‘ Asceticism and the Religious Making of South and Southeast Asia (2019–2025) angesiedelt. Ihre Spezialgebiete sind die vormoderne Geschichte Indiens und Sanskrit-Epigraphik. Sie hat zu den Inschriftencorpora der Maitraka- und der Rāṣṭrakūṭa-Dynastie in West- und Zentralindien und insbesondere zu den Themenkomplexen des religiösen Stiftungswesens in buddhistischen, brahmanisch-hinduistischen und jinistischen Kontexten sowie zu Fragen von Herrschaftsrepräsentation und -legitimation im vormodernen indischen Kulturraum gearbeitet. Annette Schmiedchen hat an der HU Indologie studiert und auch promoviert. An der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg hat sie sich 2009 habilitiert. Außerdem war sie als Vertretungsprofessorin für Indologie an der MLU tätig. Von 2012 bis 2017 hat sie mit dem Institut für Geschichtswissenschaften der HU an dem dort angesiedelten interkulturellen ERC-Projekt „FOUNDMED – Stiftungen in mittelalterlichen Gesellschaften“ mitgearbeitet.
Aus der Perspektive der islamischen Rechtsprechung in Bezug auf die Rolle von Waqf-Stiftungen in der Gesellschaft wird in diesem Vortrag das Thema des Gemeinwohls im Zusammenspiel mit der Idee der Bewahrung des kulturellen Erbes untersucht. Unter diesem Gesichtspunkt haben islamische Religionsgelehrte aller Schulen und Richtungen von den frühen islamischen Jahrhunderten bis heute Rechtsprechung und Rechtstheorien zu diesem Thema verfasst (Beispiele für letztere finden sich in Kuwait, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Katar, Malaysia und anderen muslimischen Mehrheitsregionen). Schriften dieser Art wurden auch von Gelehrten anderer Religionsgemeinschaften in islamischen Staaten, den dâr al-islâm, verfasst, etwa von jüdischen, christlichen, ibadischen und drusischen religiösen Autoritäten, die über die Absichten von Einzelpersonen innerhalb ihrer Gemeinschaften theoretisierten, als sie ihre Stiftungen zur Unterstützung religiöser, öffentlicher und privater Ziele schufen, von denen einige die Unterstützung eines Systems des Gemeinwohls und die Erhaltung kultureller Räume beinhalteten. Diese Präsentation konzentriert sich auf die Untersuchung der Überschneidung zwischen dem Gemeinwohl und der Bewahrung des kulturellen Erbes im Bereich des Waqf, insbesondere auf der Grundlage islamisch-sunnitischer religiöser Schriften. Dennoch sollte die vergleichende Perspektive mit Bezug auf die oben genannten Religionsgemeinschaften ebenso im Auge behalten werden wie auf Fragen zu Stiftungen und ähnliche Strukturen, die auf globaler Ebene geschaffen wurden. Zu diesem Zweck werden mehrere Werke der Gattung ahkâm al-awqâf (Urteile über Waqfs), geschrieben von islamisch-sunnitischen Gelehrten, untersucht werden, die über das Thema der Waqf-Stiftungen in den frühen islamischen Jahrhunderten bis in die Gegenwart geschrieben haben. Die Frage wird am Text untersucht werden, indem die Auslegung der Rechtsgelehrten in Bezug auf die Überschneidung des Gemeinwohls - ob implizit oder explizit als maṣlaḥa 'âmma bezeichnet - als Mittel des sozialen Zusammenhalts mit dem waqf als Mittel zur Erhaltung des kulturellen Erbes, ob öffentlich oder privat ("waqf ist das Element, das die Gesellschaft zusammenhält"), betrachtet wird.
Referentin
Randi Deguilhem, Fulbright-Hays-Empfängerin, ist Professorin (Direktorin der Recherche, PhD, HdR) beim CNRS (Nationales Zentrum für wissenschaftliche Forschung). Sie ist Mitglied von TELEMMe-MMSH, Aix Marseille U. (AMU), Aix-en-Provence, Frankreich. Seit 1998 leitet sie hier Seminare für Hochschulabsolventen und hat mehr als 20 Dissertationen betreut. Als Historikerin des modernen und zeitgenössischen Nahen Ostens und der islamischen Welt konzentriert sich ihre Forschung auf Syrien im Rahmen einer vergleichenden und interdisziplinären Perspektive. Ihre Arbeit umfasst systematisch den Longue-Durée-Ansatz, wobei sie sich auf die institutionelle Geschichte und das islamische, gewohnheitsrechtliche und staatliche Recht der Waqf-Stiftungen spezialisiert hat, wie sie sich während der osmanischen, der Mandats- und der unabhängigen Zeit in Syrien entwickelt und verändert haben. Sie forscht und publiziert auch über die Bildungssysteme in der Tanzimat- und Post-Tanzimat-Ära des Osmanischen Reiches sowie über die Schulen der Mission Laïque in Großsyrien. Die Analyse der Geschlechterverhältnisse in diesen Bereichen bildet einen wichtigen Schwerpunkt, ebenso wie in ihrer Arbeit über die nahda und nahda-inspirierte Bewegungen in der Region. Sie hat 10 Bücher mit mehreren Autoren und etwa 50 Buchkapitel und Artikel veröffentlicht. Im Jahr 2012 gründete und leitet sie das internationale Forschungsnetzwerk (GDRI) WAQF Fondations mit dem CNRS (IISMM-EHESS, TELEMMe) und Universitätspartnern in Algerien, Japan, Malaysia, Palästina, Tunesien und den VAE. In diesem Zusammenhang hat sie ein Seminar über Waqf am IISMM-EHESS in Paris ins Leben gerufen und leitet es. Von 2014-20 war sie Mitbegründerin und Leiterin des AMU-Netzwerks GenderMed: Thinking Gender in the Mediterranean, das institutionelle Verbindungen zu lokalen und internationalen Partnern aufbaute. Sie gehört mehreren Beiräten internationaler Programme (z. B. PIMo / Entangled Histories of the Mediterranean, EU COST, Brüssel) und Zeitschriften (z. B. Endowment Studies, Brill, Leiden) an. Sie ist Herausgeberin von HAWWA: Journal of Women of the Middle East and the Islamic World, Brill und ist Mitherausgeberin der Reihe Gender & Islam bei Bloomsbury / IB Tauris, London.
Eine nichtrechtsfähige oder unselbstständige Stiftung ist eine Stiftung, die einer Rechtspersönlichkeit entbehrt und eines sog. Stiftungsträgers bedarf, der die ihm vom Stifter übertragenen Vermögensgegenstände zu dem vom Stifter bestimmten Zweck verwaltet. Vor dem 19. Jahrhundert waren alle Phänomene, die man heute als Stiftungen qualifizieren würde (z.B. bestimmte pia corpora, Spitäler oder Klöster), aber erst ab dem späten Mittelalter allmählich als solche bezeichnet wurden, notwendig nichtrechtsfähige Stiftungen, weil ein Konzept der rechtsfähigen Stiftung als Rechtsperson noch unbekannt war. Viele deutsche juristische Fakultäten waren im 19. Jahrhundert mit den Fällen des Kunstinstituts Städel und des Waisenhauses Blum befasst. Im Zuge dieser Fälle und ausgehend von den Werken von Mühlenbruch, Heise und von v. Savigny setzte sich erst allmählich die Auffassung durch, dass die Stiftung neben der Korporation die zweite Form einer Rechtsperson sei und zu Zwecken errichtet werden könne, die über religiöse Zwecke und Wohltätigkeitszwecke hinausgehen, dass aber diese Rechtspersönlichkeit nicht allein auf privater Disposition beruhen könne, sondern der staatlichen Genehmigung bedürfe. Aus alledem wurde allerdings nicht der Schluss gezogen, dass Stiftungen stets und nur in dem Kleid einer juristischen Person errichtet werden dürfen. Vielmehr hat die Rechtsform der nichtrechtsfähigen Stiftungen die gesetzliche Einführung der §§ 80-88 BGB überdauert, ihre Zahl übersteigt in Deutschland die Zahl der rechtsfähigen Stiftungen um das Fünffache. Bis heute ist allerdings die rechtliche Einkleidung nichtrechtsfähiger Stiftungen noch immer nicht vollständig geklärt, insbesondere ob man sie als Treuhandstiftung oder mittels einer Schenkung unter Auflagen (donatio sub modo) qualifizieren kann.
Referent
Prof. Dr. Stefan J. Geibel ist Direktor des Instituts für deutsches und europäisches Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Hier hat er den Lehrstuhl für bürgerliches Recht und Nebengebiete, insbesondere Stiftungsrecht mit seinen europäischen und internationalen Bezügen inne. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören das allgemeine Zivilrecht, das Gesellschafts- und Unternehmensrecht, sowie das Stiftungs-, Vereins- und Gemeinnützigkeitsrecht. Prof. Dr. Stefan Geibel legte 2002 seine Promotion in Tübingen ab und habilitierte sich dort 2006. Außerdem erwarb er den Titel Maître en droit an der Universität Aix-Marseille.
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