Projektseminar – Die Schnittstelle zwischen Ausbildungs- und Versorgungssystem in Einrichtungen des Gesundheitswesens

Im Rahmen des Projektseminares im Masterstudiengang Soziologie wurde im Zeitraum April 2021 bis Mai 2022 das (Lehr-)Forschungsprojekt “Die Schnittstelle zwischen Ausbildungs- und Versorgungssystem in Einrichtungen des Gesundheitswesens” von 25 Studierenden unter der Leitung von PD Dr. Stefan Bär realisiert.

Zum Hintergrund
Ausgelöst durch demografische, epidemiologische und strukturelle Entwicklungen in der Versorgung verändern sich auch die Anforderungen an das Pflegepersonal. Sich wandelnde Versorgungsstrukturen erfordern eine zukunftsfähige Ausbildung mit übergreifenden pflegerischen Qualifikationen (vgl. BAFzA 2019, S. 3). Seit dem 01. Januar 2020 gilt daher das neue Pflegeberufegesetz, welches die bisherigen drei Pflegefachberufe Gesundheits- und Krankenpflege, Gesundheits- und Kinderkrankenpflege sowie Altenpflege zu einer generalistischen Pflegeausbildung zusammenführt. Die neue Ausbildung zur/zum Pflegefachfrau/Pflegefachmann soll die Auszubildenden befähigen, Menschen aller Altersgruppen bestmöglich zu pflegen und dadurch  in allen Versorgungsbereichen flexibel einsetzbar zu sein  (vgl. BAFzA 2019, S. 3). Die generalistische Pflegeausbildung bietet in ihrer Ausführung eine Reihe an Chancen, jedoch auch Herausforderungen und Risiken. Besonders in der Kinderkardiologie antizipieren Verantwortliche eine deutliche Verschärfung der Probleme und Versorgungsengpässe, da bspw. die kinderchirurgische Richtlinie Anforderungen fachlicher, struktureller und personeller Art sowie eine langjährige Spezialisierung verlangt (vgl. DGPK 2020,S. 2).  

Nicht erst die Covid-19-Pandemie offenbarte, dass das deutsche Gesundheitswesen von einem enormen Fachkräftemangel, insbesondere im intensivpflegerischen Bereich, geprägt ist. Eine aktuelle Erhebung zum Fachkräftemangel zeigt, dass zum Erhebungszeitpunkt 53% der Krankenhäuser Probleme hatten, Pflegestellen in ihrem Intensivbereich zu besetzen (vgl. Blum 2017, S. 52). Insgesamt blieben ca. 8% der Vollzeitstellen in der Intensivpflege vakant, was in absoluten Zahlen 3.150 unbesetzten Vollzeitstellen entspricht (vgl. a.a.O., S. 55). 

Der Fachkräftemangel, der sich wandelnde Versorgungs- und Qualifikationsbedarf einer alternden Gesellschaft und drohende Kompetenzlücken im intensivpflegerischen Bereich stellen drängende Fragen hinsichtlich des Zusammenwirkens von Ausbildungs- und Versorgungssystem für die Zukunft. Es lassen sich jedoch kaum empirische Studien finden, welche mögliche Maßnahmen der Koordination zwischen Ausbildung und Versorgung in der Krankenpflege allgemein und in der Intensivpflege im Besonderen behandeln. Bei bisherigen Veröffentlichungen wird eine gute Vernetzung von Ausbildung und Versorgung empfohlen, welche durch Kooperationsverträge mit regelmäßigem Austausch, sowie durch eine gut strukturierte Unterweisung der Auszubildenden durch Praxisanleiter:innen erreicht werden könne (vgl. BAFzA 2019, S. 5)  

Das Projekt
Vor diesem Hintergrund knüpfte das Projekt an eine Vorstudie (gefördert durch HEiKAexplore) an, und adressierte Herausforderungen wie den zunehmenden Versorgungsbedarf bspw. älterer und multimorbider Patient:innen, sich damit ändernde Qualifikationserfordernisse, den veränderten regulatorischen Rahmen durch die Einführung der Generalistik und insbesondere den Fachkräftemangel. In Kooperation mit dem Universitätsklinikum Heidelberg sollte das Projekt einen evidenzbasierten Beitrag zur zukunftsfähigen Koordination der Schnittstelle zwischen Aus- und Weiterbildung im Pflegeberuf und dem gegenwärtigen und zukünftigen Bedarf an gut qualifiziertem Pflegepersonal leisten. Das Projekt hat hierzu das konkrete Beispiel der Intensivpflege in den Blick genommen und eine Erhebung mittels qualitativer Interviews durchgeführt, die auf der Grundlage von Wissenssoziologie und hermeneutischen Methoden ausgewertet wurden. Die Masterstudierenden führten das Projekt, orientiert an der Projektmanagementmethode EduScrum, weitgehend selbstständig und selbstorganisiert durch.

Das Projektteam

Projektteam

Ansprechpartnerinnen des Projektteams waren: Meike Geider, Karolin Leibig und Svende Linder: kontakt.ps2122@mwi.uni-heidelberg.de

Ergebnisse (Kurzfassung)

Auf Ebene von Institution und Organisation zeigt sich, dass im Kontext der Schnittstelle zwei Ansprüche von zentraler Bedeutung sind: der Versorgungsanspruch einerseits und Ausbildungsanspruch andererseits. Das kognitive Konzept in der Versorgungspraxis folgt dem Versorgungsanspruch, es geht also primär darum, in der Realität die Versorgung von Patient:innen zu gewährleisten, und das kognitive Konzept der Ausbildungspraxis folgt dem Ausbildungsanspruch, welchem innewohnt, das angehende Pflegepersonal und die Weiterzubildenden ideal hochwertig zu lehren, aus- und weiterzubilden. Das war zu erwarten, und ist nicht weiter überraschend. Auf Ebene der Schnittstelle treffen in konkreten Handlungskontexten, auf den Stationen im Krankenhaus, diese beiden institutionellen Ansprüche aufeinander. Hier zeigt die Untersuchung, dass das Verhältnis beider institutioneller Ansprüche durch eine ausgehandelte Ordnung bestimmt ist, in welcher der Versorgungsanspruch dominiert und somit Priorität beanspruchen kann. Auf organisationaler Ebene ließ sich feststellen, dass Koordination und Kooperation funktionieren und die Versorgung der Patient:innen durch die ausgehandelte Ordnung sichergestellt ist. Jedoch zeigt sich auf der Ebene der Akteure, dass je nach deren Positionierung (zentral an, am Rande oder ausserhalb der Schnittstelle), das Spannungsverhältnis der beiden Ansprüche und die Dominanz des Versorgungsanspruchs Handlungsdilemmata erzeugen können. Die zentralen Schnittstellenakteure, insbesondere die Praxisanleiter:innen, sind aufgrund ihrer organisationalen Lage gefordert, den Umgang mit den beiden institutionellen Ansprüchen individuell auszuhandeln. Ihre Position, das ist das zentrale Ergebnis, könnte strukturell und organisational weiter gestärkt werden, als es das Pflegeberufegesetz ohnehin bereits vorsieht, um die Qualität der praktischen Ausbildung (und der Weiterbildung) in den Versorgungseinrichtungen auch zukünftig sicherzustellen. Eine konkrete Möglichkeit hiefür, das zeigen Tendenzen im analysierten organsationalen Feld, wäre es, Praxisanleitung aus der Linienhierarchie zu lösen und unter einer Stabsstelle zusammenzufassen.

Literatur 

Blum, Karl. 2017. Personalsituation in der Intensivpflege und Intensivmedizin. Gutachten des Deutschen Krankenhausinstituts. Düsseldorf: DKI https://www.dki.de/sites/default/files/2019-05/Personalsituation%20in%20der%20Intensivpflege.pdf (Zugegriffen: 21. Jun. 2021).

Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA). 2019. Arbeitshilfe für die praktische Pflegeausbildung. Köln: BAFzA https://www.pflegeausbildung.net/fileadmin/de.altenpflegeausbildung/content.de/Publikationen/Broschuere_Arbeitshilfe_Pflegeeinrichtungen.pdf (Zugegriffen: 21. Jun. 2021). 

Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und Angeborene Herzfehler (DGPK). 2020. Offener Brief an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zum Fehlen kurzfristiger Lösungen für lebensentscheidende Herzoperationen. http://www.kinderkardiologie.org/fileadmin/user_upload/Presse/Final_Homepage_DGPK_Offener_Brief_Bundesgesundheitsminister.pdf (Zugegriffen: 24. Mai 2021)