Projektseminar – Corporate Compliance Management im Krankenhaus

Im Rahmen des Masterstudiengangs Soziologie wurde im Zeitraum April 2022 bis März 2023 unter der Leitung von PD Dr. Stefan Bär ein (Lehr-)Forschungsprojekt zur Krankenhaussoziologie durchgeführt.

Hintergrund:

Krankenhäuser gelten als Organisationen mit besonderen Risikobereichen für Compliance-nonkonformes Verhalten (vgl. von Eiff & von Eiff 2016). Mit der Einführung von §§ 299a, 299b StGB im Jahre 2016 sollte regelabweichendes Verhalten im Gesundheitswesen unterbunden werden. Daraus resultierte für Krankenhäuser ein impliziter Druck zur Umsetzung von Corporate-Compliance-Management-Maßnahmen (vgl. Lindemann & Hehr 2019).
Was im Hinblick auf Corporate-Compliance-Management in der Wirtschaft seit vielen Jahren bereits etabliert ist, erweist sich in den wenigen vorliegenden empirischen Untersuchungen für die Organisation Krankenhaus weitestgehend als Neuland (vgl. Lindemann et al. 2019; Buchowitz 2021). So zeigten Krolak et al. (2019) innerhalb einer Kooperationsstudie mit dem Verband deutscher Universitätsklinika, dass Compliance organisationsstrukturell in der Regel als Stabstelle zwar bereits vorhanden ist, aber eine konkrete Funktionsbeschreibung der Rolle des Compliance-Beauftragten in vielen Fällen fehlt. Diesen Zusammenhang von Strukturaufbau und Ausgestaltung von Compliance-Management bestätigt eine weitere Untersuchung, die davon ausgeht, dass Corporate-Compliance-Management dann stärker institutionalisiert sei, wenn die gesundheitswirtschaftliche Organisation über eine eigenständige Compliance-Abteilung verfügt, als wenn Compliance-Aufgaben lediglich an einen Compliance-Beauftragten delegiert würden (Buchowitz 2021).

Forschungsvorhaben:

Bei einem insgesamt überschaubaren Stand der Forschung mit vielen Lücken, wurde im Rahmen des Lehrforschungsprojektes am MWI analysiert, ob und wie sich Corporate-Compliance-Management an deutschen Universitätsklinika institutionalisiert hat.

Die Auswahlentscheidung für die Universitätsklinika lässt sich in dreierlei Weise begründen. Zum einen gewährleistet sie in Bezug auf das Forschungsdesign Konstanz bei der Einrichtungsform. Universitätsklinika vereinen als Maximalversorger alle Dimensionen der Krankenversorgung mit Aufgaben in Forschung und Lehre und stellen in der heterogenen Krankenhauslandschaft die Spitze der medizinischen Einrichtungen dar. Zum anderen ist in Bezug auf die Frage nach Institutionalisierung als Prozess eine Vergleichsperspektive mit dem Stand der Forschung (Krolak et al. 2019) möglich. Schließlich darf man auf Basis von neoinstitutionalistischen Annahmen (vgl. Meyer & Rowan 1977) davon ausgehen, dass sich im organisationalen Feld der Universitätsklinika eine konvergente Entwicklung aufgrund des seit 2016 veränderten regulatorischen Rahmens zumindest im Ansatz eingestellt hat und dies den Stand der Institutionalisierung von Corporate-Compliance widerspiegelt.
Vor diesem Hintergrund wurde im Hinblick auf die Erhebungs-, Analyse und Darstellungsmethoden der Versuch unternommen, (a) einen Institutionalisierungsgrad quantitativ zu bestimmen, indem ein Variablenset auf die Außendarstellung von Compliance, erhoben mittels Desktop-Research, anwendet wurde, und (b) die auf diese Weise generierten Daten und deskriptiven Ergebnisse mittels eines für den Gegenstand angepassten Mappings darzustellen.

Ergebnisse:

Das zentrale Ergebnis der Untersuchung ist, dass sich Corporate-Compliance an den deutschen Universitätsklinika in einem noch laufenden Institutionalisierungsprozess befindet.

Die via Desktop-Research ermittelte Außendarstellung zeigt dabei variierende Institutionalisierungsgrade: 33,33 % der Klinika weisen lediglich eine schwache, 48,48 % eine mittlere und 18,18 % eine starke Institutionalisierung von Corporate-Compliance nach außen hin aus. Zum Zeitpunkt der Erhebung wurde somit – anders als erwartet – keine Konvergenz bei der Institutionalisierung von Corporate-Compliance festgestellt.

Zwar konnte unter Rückbezug auf den Forschungsstand in einer quasi-längsschnittlichen Perspektive gezeigt werden, dass organisationsstrukturell die Ausgestaltung von Corporate-Compliance als Stabsstelle dominiert. In der konkreten Differenzierung ist empirisch jedoch Heterogenität zwischen den Klinika beobachtbar. Ein Zusammenhang von Strukturaufbau und Differenzierung von Corporate-Compliance konnte entgegen dem gegenwärtigen Forschungsstand (vgl. Krolak et al. 2019; Buchowitz 2021) nicht bestätigt werden. Die Untersuchung liefert jedoch Hinweise darauf, dass es einen Zusammenhang von Organisationsgröße und dem Institutionalisierungsgrad von Corporate-Compliance gibt.

Diese Befunde gilt es in nachfolgenden Untersuchungen zu validieren und es ist von Interesse, ob und inwiefern sich die im Falle der Universitätsklinika gefundenen Ergebnisse auf die gesamte Krankenhauslandschaft Deutschlands übertragen lassen. Da sich die vorliegenden Ergebnisse auf die Außendarstellung beziehen, bedarf es darüber hinaus einer Ausweitung der Forschung auf die Betrachtung von konkreten Aktivitätsstrukturen und mögliche Entkopplungstendenzen dieser von der Formalstruktur. Weil der Institutionalisierungsprozess von Corporate-Compliance als eine angenommene Folge von Korruptionsbekämpfung (§§ 299a, 299b StGB) auf Basis der Untersuchung als unabgeschlossen erscheint, ergibt sich daraus weiterer Forschungsbedarf insbesondere im Längsschnitt.

Literatur

Buchowitz, Anja (2021): Compliance Management im Gesundheitswesen – Qualitative Analyse der Akzeptanzfaktoren, Hamburg: Verlag Dr. Kovac.
Krolak, Thomas; Hensel, Hendrik; Kühl, Oliver (2019): Die Arbeit des Compliance-Beauftragten im Rahmen des Beauftragtenwesens deutscher Universitätsklinika – Analyse der Aufbau- und Ablauforganisation, o.V.
Lindemann, Michael; Hehr, Alexandra (2019): Grundfragen der Implementierung des Compliance-Managements in Einrichtungen des Gesundheitswesens, Band 5, o.V., S. 3-10.
Meyer, John; Rowan, Brian (1977): Institutionalized Organizations: Formal Structure as Myth and Ceremony. American Journal of Sociology, 83, S. 340-363.
Von Eiff, Wilfried; von Eiff, Christoph (2016): Clinical Corporate Compliance Management – Sicherstellung regelkonformen Verhaltens im Medizinbetrieb, in: Steinmeyer, Heinz-Dietrich; Roeder, Norbert; von Eiff, Wilfried (Hrsg.): Medizin-Haftung-Versicherung – Festschrift für Karl Otto Bergmann zum 70. Geburtstag, Berlin/Heidelberg: Springer, S. 339-362.

 

Das Projektteam:

Unser Projektteam setzte sich aus zehn Masterstudierenden zusammen, welche an den Universitäten Heidelberg, Mannheim und Trier bereits ein Bachelorstudium in Soziologie abgeschlossen hatten. Durch die verschiedenen Begleitfächer während des Bachelorstudiums konnte eine große Bandbreite an interdisziplinären Wissensständen eingebracht werden. Wir hatten uns dazu entschieden, im Bereich der Compliance Strukturen von Krankenhäusern, explizit Universitätsklinika, orientiert an der Projektmanagementmethode EduScrum zu forschen. Was uns dabei verbunden hat, war das gemeinsame Interesse an einer soziologischen Perspektive auf Prozesse im organisationalen Kontext.

Veronica Steinweg (Tutorin), Luisa Riek, Patrick Thiele, Lena Kühner, Vanessa Gröning, Miriam Zimmer
Stefan Bär, Seyma Yilmaz, Clara Küppers, Corinna Jurgeleit, Sandra Bausch, Nicolas Mechnig