Organisationale Kriminalität und funktionale Devianz – Zur Analyse einer Kriminalitätsform und ihrer Bekämpfung

Projektbeschreibung

profit-1139073_1920Dieses Projekt ist eingebettet in einen interdisziplinären Verbund von Soziologen, Kriminologen, Rechtswissenschaftlern, ergänzt durch die Medizin, die Sinologie sowie die Politik- und Wirtschaftswissenschaften.
Wir wollen untersuchen, wie Organisationen von legalen Pfaden abkommen und wie sie ggf. wieder auf diese zurückfinden. Diese Frage hat seit den 1990er Jahren immer mehr an Relevanz gewonnen, ohne dass sich im gleichen Maße empirische Forschung dazu entwickelt hat. So hat z.B. die globale Finanzkrise gezeigt, wie leicht und oft Banken und Investmentfonds dazu tendierten, die legalen Pfade zu verlassen, wenn dies ihren Interessen diente (Lounsbury & Hirsch 2010). Aber auch vielerlei Manipulationen und Bestechungen im Medizin- und Pharmabereich machten darauf aufmerksam, dass selbst stark regulierte Sektoren der Gesellschaft und öffentliche Einrichtungen davon nicht verschont bleiben (Dukes et al. 2014; Dannecker & Streng-Baunemann 2014). Die wiederholt aufgedeckten Rechtsverstöße zugunsten großer deutscher Industrieunternehmen - wie z.B. bei Siemens, MAN oder Thyssen-Krupp - zeigen, dass auch Vorreiter privatwirtschaftlicher Selbstregulation die Probleme nicht einfach durch den Erlass von immer mehr formalen Regeln und immer mehr Kontrolle in den Griff bekommen (Boers et al. 2010; Klinkhammer 2013).

Bislang jedenfalls hat der internationale Regulierungsboom der 2000er und 2010er Jahre Korruption und Manipulationen nicht im Keim ersticken können, sondern ganz im Gegenteil: Die Anzahl der Verfahren ist in Deutschland, den USA, China, Österreich und der Schweiz im langfristigen Trend weiter im Steigen begriffen. Um das erklären zu können, so unser Vorschlag, muss man die Ebene der Organisation stärker berücksichtigen und ihre Rolle bei der Entstehung sowie bei der Verhinderung krimineller Aktivitäten, unter Einbezug des Umbaus konfligierender Rechtsordnungen, analysieren.

Mittels eines institutionentheoretischen Zugangs auf der Ebene der Organisation soll ein interdisziplinäres Erklärungsmodell entwickelt werden, welches die Entstehung krimineller Aktivitäten zum Wohle der Organisation (organisationale Kriminalität im Sinne von Shover 1978) nicht allein auf individuelle Tätermerkmale zurückführt, sondern auf die Selbstregulation innerhalb der Organisation, d.h. konkret: auf die ungeschriebenen Regeln, welche die Tat legitimieren (Pohlmann 2008, Pohlmann et al. 2011, Klinkhammer 2015). Dieses Modell soll zum einen aus dem Sektorenvergleich von Wirtschaft, Medizin und Politik heraus weiterentwickelt werden, um zu erfassen, wie das Umfeld einer Organisation, mit seinen je spezifischen Regulationsformen, deren ungeschriebene illegale Regeln (Selbstregulation) beeinflusst und ggf. für besondere Anerkennungsformen devianter Handlungen im jeweiligen Umfeld sorgt. Zum anderen soll im internationalen Vergleich genauer erfasst werden, welche Wirkung nationale Kulturen und Institutionenordnungen auf die Anerkennung organisationaler Kriminalität haben. Welche Auswirkungen kann die in Deutschland, Brasilien und China viel diskutierte Einführung eines Unternehmensstrafrechts auf die Delegitimierung krimineller Aktivitäten in Organisationen haben sowie auf die Selbstregulationsformen, die zu ihnen führen? Neben dem Rückgriff auf den internationalen Rechtsvergleich und die Rechtstatsachenforschung soll auch aus rechtsdogmatischer Perspektive untersucht werden, ob es damit gelingen kann, diese Kriminalitätsform adäquat zu erfassen sowie geeignete Strafrechtsnormen zu institutionalisieren (Dannecker und Leitner 2012; Dölling 2007).

Leitung

Prof. Dr. Markus Pohlmann
Prof. Dr. Gerhard Dannecker
Prof. Dr. Dieter Dölling
Prof. Dr. Dieter Hermann

Mitarbeiter
Steffanie Richter, M.A.

Projektfinanzierung
(Exzellenzinitiative - FoF4 2016-2017)