Lula, Moro und die Top-Manager – Die „Operation Autowäsche“ und der Kampf gegen Korruption in Brasilien

Von Elizangela Valarini und Markus Pohlmann

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Auch nach den sportlichen Großereignissen kommt Brasilien politisch nicht mehr zur Ruhe. Sergio Moro*, Richter und "Nationalheld", ist umso mehr umstritten, als er nun auch gegen Lula da Silva, den früheren Präsidenten, und die politische Korruption in der Arbeiterpartei (PT) vorgeht. Aber nicht nur die Anklagen gegen den Ex-Präsidenten Lula, das Impeachment gegen seine Nachfolgerin Dilma Roussef, die Verhaftung des Parlamentspräsidenten Eduardo Cunha (PMDB) sowie Verfahren gegen derzeit 279 Politiker rauben den Brasilianern den Schlaf. Sondern auch die Vielzahl der Korruptions-skandale in der Wirtschaft halten sie in Atem. Seitdem die „Operação LAVA JATO“ („Operation Autowäsche“) im Juli 2013 begonnen hat, sind Politik, Wirtschaft und Justiz in große Turbulenzen geraten. Nach der Bauindustrie und Petrobrás weiten sich die Skandale nun auf die Energiewirtschaft und den Atomanlagenbau aus. So konnte zum Beispiel der wegen Korruption verhaftete Otavio Marquez Azevedo, Chef der brasilianischen Unternehmensgruppe ANDRADE GUTIERREZ, seinen durch Kooperation erwirkten Freigang nur fünf Tage lang genießen. Dann musste er sich bereits wieder vor einem anderen Gericht für Bestechungsaktivitäten seines Unternehmens im Rahmen des Atomanlagenbaus in Rio de Janeiro verantworten.

Was ist los in Brasilien? Und was steckt hinter diesen Skandalen?

Jedenfalls werden wir derzeit Zeugen einer Zeitenwende in der juristischen Behandlung von Korruption in Brasilien. Während es früher selten und nur unter Ausschluss der größeren Öffentlichkeit zu Verurteilungen kam, wird nun zügig, hart und öffentlich zugänglich abgeurteilt. Wer Lust und Zeit hat, kann auf Youtube einen Teil der Prozesse verfolgen. Und das Strafmaß ist gerüttelt. So hat der Abkömmling einer deutschen Einwandererfamilie, Marcello Odebrecht, für Bestechung, Kartellbildung und Geldwäsche in erster Instanz 19,4 Jahre kassiert. Der Richter Sergio Moro hat die Prozesse schnell und mit klarer Linie durchgeführt.
Doch was haben Autowaschanlagen damit zu tun? Der Name LAVA JATO („Operation Autowäsche“) hat in diesem Kontext zwei Bedeutungen. Zunächst wurde das umfassende Korruptionssystem unter dem Verdacht von Geldwäschen im Rahmen einer Kette von Tankstellen und Autowaschanlagen aufgedeckt. LAVA JATO bedeutet also Autowaschanlage. Zweitens hat LAVA JATO eine symbolische Bedeutung, indem lavar in der portugiesischen Sprache bereinigen bedeutet. So war es das Ziel, mit dem Ermittlungseinsatz LAVA JATO die Korruptionsfälle zügig und hart zu bereinigen. Derzeit sind Bestechungszahlungen in Höhe von 1,9 Milliarden US Dollar aufgedeckt worden, wovon rund 825 Millionen sichergestellt werden konnten. 113 Akteure wurden bereits festgenommen und 15 Top Manager und Unternehmer zu Haftstrafen in Höhe von durchschnittlich rund 15 Jahren verurteilt. Insgesamt werden 43 strafrechtliche Verfolgungen gegen 212 Personen und 7 Anklageerhebungen zur Korruption gegen 16 große Bauunternehmen und 38 Personen aufgearbeitet. Diese Anklagen richten sich gegen Spitzenmanager der größten privaten Bauunternehmen und des Staatunternehmens Petrobrás. Die angeklagten Präsidenten, Manager und Mitarbeiter sind neben aktiver Korruption (Art. 33, §4º, do CP; art. 333 do CP) und Geldwäsche mit Fälschung von Dokumenten (Art. 1º, caput, inciso V, da Lei nº 9.613/1998), ebenso wegen Bildung einer kriminellen Organisation, bzw. eines Kartells (Art. 2º da Lei nº 12.850/2013) strafrechtlich angeklagt.

Das Kartell

Die Entstehung des Kartells wird auf 1997 datiert. Seit damals trafen sich die Manager von zunächst 9 und später 16 Bauunternehmen regelmäßig, um die für sie auf dem Markt interessanten Bauprojekte unter sich aufzuteilen. Wenn sich ein Unternehmen für ein bestimmtes Projekt entschieden hatte, durften sich alle anderen nicht mehr für dasselbe Projekt bewerben, oder nur ein teureres Angebot zu dem PETROBRÁS-Bauprojekt einreichen. „Die Effizienz dieser Gruppe stieg ab 2003/2004 mit dem neuen Vorstandsvorsitzenden von Petrobrás“ sagte Augusto Ribeiro de Mendonça Neto vor dem Gericht. Durch die Kartellbildung konnten die brasilianischen Bauunternehmen nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit ihres Unternehmens bezüglich der Petrobrás-Aufträge sowohl vor internationalen als auch vor weiteren brasilianischen Unternehmen – die nicht zu dem „Club“ gehört haben – verbessern. Sie konnten auch die Ausschreibungssumme des Projektes durch ihre überteuerten Angebote erhöhen und dadurch den Profit ihres Unternehmens durch den Wert des Bauprojektes bestimmen.

Ein System von Bestechung und Korruption

Dahinter steckte nicht allein die Gier der Manager und Unternehmer, sondern das Ganze hatte System. Die Kontrolle des Marktes mit Hilfe eines großen Staatsunternehmens, welches in Brasilien oft wie eine Behörde tickt und funktioniert, und der regelmäßigen „Schmierung“ des Verhältnisses zu den politischen Parteien war ein großangelegtes System von Bestechung und Korruption. Wie eine Mautgebühr, musste ein bestimmter Prozentsatz des Auftrags an die Petrobras-Manager überwiesen und vorher gewaschen werden. Wer in den exklusiven Club hineinkam, hatte ausgesorgt. Alle anderen blieben vor der Tür. Folgt man den bisherigen Gerichtsurteilen, haben sich die Manager und Unternehmer, die gezahlt haben, nicht direkt persönlich bereichert, aber für die Bereicherung ihrer Unternehmen Sorge getragen und damit indirekt auch ihrem persönlichen Nutzen gedient. Die ungeschriebenen Regeln des Systems waren allen im Club bekannt und wurden von allen akzeptiert. Damit haben wir es nicht nur mit Unternehmenskriminalität zu tun, sondern auch mit etwas, das man „strukturelle Korruption“ nennt: Ein fest etabliertes System mit informell anerkannten ungeschriebenen Regeln, das von einem inneren Kreis hochrangiger Manager, Unternehmer, Staatsdiener und Politikern gelenkt wird und von dem viele profitieren. Im Vergleich zu Deutschland, das ebenfalls viele Kartellverfahren kennt, ist das Besondere an dieser Kartellbildung die sehr enge Verquickung mit politischer Korruption. Das ist in Deutschland weniger oft zu finden. Dass dieses Kartell aufgedeckt und zerschlagen wurde, zeigt die juristische Zeitenwende in Brasilien an, von der wir nur hoffen können, dass sie die derzeitigen politischen Turbulenzen unbeschadet übersteht. Jedenfalls müssen sich die Top-Manager, Unternehmer und Politiker heute in Brasilien warm anziehen. Denn junge Richter wie Sergio Moro schauen nicht mehr nur zu, sondern schießen auch. Das haben sie von den USA und Italien gelernt. Die noch junge, unsichere Hoffnung in einem derzeit wirtschaftlich darnieder liegenden Brasilien ist, das dieser Kampf gegen Korruption tatsächlich zu weniger Korruption und einer unabhängigen Justiz führt – auch wenn die Politik sich bereits für einen Gegenschlag rüstet.

Veranstaltungshinweise

Vortrag von Sergio Moro am 9. Dezember 2016 in Heidelberg

* Sérgio Moro ist am 9. Dezember im Rahmen einer internationalen Konferenz der Heidelberger Forschergruppe „Organizational Deviance Studies“ unser Gast in Heidelberg und hält um 18 Uhr in der Alten Aula der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg den Vortrag "Corruption and law enforcement in Brazil: The Petrobras case".

Internationale Konferenz vom 8. bis 10. Dezember 2016

Der Vortrag von Sérgio Moro ist eingebettet in die Konferenz: „The Failures of Regulation and Self-Regulation. How to Analyze and Prevent Corporate Crime?”, die vom 8. bis 10. Dezember 2016 am Max-Weber-Institut für Soziologie der Universität Heidelberg stattfindet.
Veranstalter der Konferenz sind das Max-Weber-Institut für Soziologie, das Institut für deutsches, europäisches und internationales Strafrecht und Strafprozessrecht und Institut für Kriminologie, Universität Heidelberg

-> Weitere Informationen zum Programm entnehmen Sie bitte den Informationen auf unserer Webseite

Mitgefangen, mitgehangen? VW und Audi: Warum Unternehmen tricksen und manipulieren

Von Markus Pohlmann

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VW und Audi hätten es wissen müssen. Bereits 1973 war der Mutterkonzern VW auffällig geworden, weil sein berühmtestes Auto, der Käfer, Temperatursensoren eingebaut hatte – zur Anpassung der Emissionen – ohne dass diese Anpassung bei der Zulassung angegeben worden wäre. VW ist damals mit 120.000 US Dollar Strafe davongekommen. 43 Jahre später ist es für VW und Audi nicht mehr so preiswert, zu manipulieren. Auch Audi steht nun am Pranger der US-Justiz. Nicht nur, dass die erste Konsensvereinbarung VW bereits rund 15 Milliarden Euro an Restitutionen gekostet hat, auch die Anklage des Staates New York hat es nun für Audi und VW in sich.

Audi und VW stehen prototypisch für ein Phänomen, das in der Soziologie und Kriminologie „organisationale Devianz“ genannt wird. Alle Zutaten sind enthalten. Organisationale Devianz bezeichnet den Sachverhalt, dass das Personal des Unternehmens von formalen Regeln und gesetzlichen Vorschriften zum Vorteil des Unternehmens abweicht und darin den informellen, ungeschriebenen Regeln und Erwartungen des Unternehmens Folge leistet. Organisationale Devianz ist ein Begleitphänomen jeder Organisation, aber nicht jede Organisation greift dabei zu illegalen Mitteln. Audi und Volkswagen haben aber in diesem Fall getrickst und manipuliert – und sich lange davor gedrückt, dies auch zuzugeben. Erst am 20. September 2015 erfolgte das Geständnis des Konzerns, elf Jahre nach Einführung der Abschalteinrichtungen und fast eineinhalb Jahre nachdem die US-Behörden (Environmental Protection Agency und die California Environmental Protection Agency Air Resources Board) aufgrund einer Studie des ICCT (International Council on Clean Transportation) vom Mai 2014 zu prüfen begannen.

Was sind nun die Zutaten organisationaler Devianz, die auch im Falle von Audi – abgesehen von den technischen Gründen – dazu geführt haben, dass Audi nicht nach den Regeln gespielt hat?

  1. Der „schlechte Brauch“ in der Branche: Audi und VW bewegten sich in einem Umfeld, in dem Manipulationen gang und gäbe waren. Nicht nur, dass VW selbst bereits damit aufgefallen war. 1974 sind Chrysler, Ford, GM und Toyota mit ähnlichen Temperatursensoren auffällig geworden. Dann GM 1995. Bei GM war bereits eine deaktivierende Software im Betrieb und die Strafe war mit 20 Millionen US Dollar bereits deutlich höher als zwei Jahrzehnte früher bei VW. 1998 war Ford mit einer deaktivierenden Software und einer Strafe von 7,8 Millionen US Dollar an der Reihe. Honda bezahlte 1998 für das gleiche Delikt 17,1 Millionen US Dollar und im selben Jahr war dann die Nutzfahrzeugsparte (Caterpillar, Renault, Volvo u.a.) aufgrund von Abschalteinrichtungen dran: 83,4 Millionen US Dollar plus circa eine Milliarde Dollar für Umrüstungen (Quelle: wikipedia.de). Der Klageschrift aus New York zufolge hat in der Nachfolge dann Audi seit 2004 diese Abschalteinrichtungen entwickelt und unter dem Namen „Akkustikfunktion“ eingesetzt. Seit Ende 2006 hat Volkswagen diese für seine Autos übernommen (Anklageschrift Supreme Court of the State New York vom 19.7.2016). Auch Opel steht laut Spiegel-Recherche in Verdacht, in ähnlicher Weise manipuliert zu haben und ebenso wird gegen Daimler wegen der Differenzen zwischen dem auf dem Prüfstand und den im Straßenverkehr gemessenen Emissionen derzeit geklagt (ZDF, Frontal21, Sendung vom 7. Juni 2016).
  2. Der Nutzen für das Unternehmen: Audi hat in den USA seine Absatzzahlen von 82.000 PKW im Jahre 2009 auf 202.000 PKW im Jahre 2015 gesteigert. Der Anteil der dieselbetriebenen Fahrzeuge stieg ebenfalls. 2015 fielen rund sechs Prozent des USA-Absatzes von Audi auf Dieselfahrzeugen. Der Einsatz der Abschalteinrichtungen schien für das Unternehmen auf dem Weg zu mehr Umsatz dennoch als nützlich – zumindest vor seiner Aufdeckung. Aller Wahrscheinlichkeit nach haben die Software-Ingenieure und -entwickler und ihre Führungskräfte vor allem diesen Nutzen im Blick gehabt. Derzeit stehen sie jedenfalls nicht im Verdacht, sich durch die Manipulationen persönlich bereichert zu haben.
  3. Die Hierarchie: Wenn Unternehmen legale Pfade verlassen, geschieht dies selten nur auf der Basis von Gier und Gerissenheit einiger weniger schwarzer Schafe. Sehr oft bilden sich „Subkulturen“ oder „social cocoons“ in der Organisation, in der die Abweichung geduldet oder gar gerechtfertigt wird. Man muss nicht, wie die Klageschrift des Staates New York, von einem „willful and systematic scheme of cheating by dozens of employees at all levels of the company regarding emissions” (Complaint Supreme Court of the State New York vom 19.7.2016) sprechen. Aber ohne eine Beteiligung oder Duldung wichtiger Führungskräfte sind solch weitreichende Manipulationen kaum vorstellbar. Aus dem Bericht der Kanzlei Jones Day wird kolportiert, dass bereits 2007 ein Audi-Ingenieur einen größeren Kreis von Managern von Audi in einer E-Mail darüber informiert habe, dass es „ganz ohne Bescheißen“ nicht klappen werde, die US-Grenzwerte beim Schadstoffausstoß von Dieselwagen einzuhalten. Und der auf den Ingenieuren lastende Druck, es so oder so hinzubekommen, war bekanntlich sehr groß.
  4. Sozialisation oder: Wir sind damit groß geworden: Häufig sind es nicht Führungskräfte und Mitarbeiter, die von anderen Unternehmen zum Konzern gekommen sind, sondern sehr loyale, langjährig zugehörige Insider, die zum Nutzen des Unternehmens hohe persönliche Risiken in Kauf nehmen. Sie realisieren damit in der Regel keine illegale persönliche Bereicherung jenseits der Anreizsysteme des Unternehmens, sondern ernten Anerkennung und verstärken ihre Zugehörigkeit zum „inner circle“ des Konzerns. Dabei haben sie die ungeschriebenen Regeln des Konzerns nicht nur gelernt, sondern über die Jahre verinnerlicht. Darunter eben gerade auch solche, die von Vorschriften oder gar Gesetzen abweichen. Wenn wir im Falle von Volkswagen und Audi die Konzernzugehörigkeiten der Chef-Ingenieure und Chefs der Motorenentwicklung ansehen, erkennen wir, dass diese mit über 20 Jahren langjährig dem Konzern verbunden waren. Auch die in der Anklageschrift benannten Top-Ingenieure weisen überwiegend lange Betriebs- und Konzernzugehörigkeiten auf. Wir wissen derzeit jedoch nicht, ob das in der Anklageschrift benannte Personal tatsächlich selbst beteiligt oder informiert war.

Belastbare Erkenntnisse aus den Ermittlungen und Verfahren liegen noch nicht vor. Das Muster dahinter wäre aber für den Fall, dass sich die bisherigen Verdachtsmomente bewahrheiten sollten, typisch für organisationale Devianz: Häufig gibt es einen „inner circle“ von langjährig zugehörigen Insidern, die mit den ungeschriebenen Regeln des Konzerns groß geworden und für welche die Regelabweichungen selbstverständlich geworden sind.

Auch die deutsche Politik hat sicherlich das ihre dazu getan und den Unternehmen oft „missverständliche“ Signale gegeben. Aber die Signale aus den USA waren unmissverständlich. Audi und Volkswagen haben sich durch die Manipulationen selbst ausgebremst. Die Klageschrift weist darauf hin, dass VW und Audi auch dann weitergemacht haben, als die Prüfungen bereits begonnen hatten (Klageschrift Supreme Court of the State New York vom 19.7.2016: 8). Mitgefangen, mitgehangen. Es bleibt jetzt nur noch abzuwarten, welche Strafzahlungen auf Audi und Volkswagen noch zukommen. Manchmal muss auch bei großen Konzernen Compliance erst in mühsamen und teuren Verfahren gelernt werden.